Ein freundlicher Blick auf alten Schmerz

Kleine Anmerkung: Weil ich in meinen Blogposts zu einem ehrlichen und persönlichen Nachdenken einladen möchte, verwende ich ein freundlich und respektvoll gemeintes „Du“.

Vor einiger Zeit habe ich gelesen, dass ein erstaunlich großer Teil dessen, was in unserem Inneren so vor sich geht, eigentlich nur eine ständige Wiederholung ist: Wir stehen morgens auf, und denken zu einem großen Teil die gleichen Gedanken, die wir auch gestern schon gedacht haben. Wir kauen auf Themen rum, über die wir uns schon hundertmal den Kopf zerbrochen haben und fühlen uns – wenn unser Tag nichts Unvorhergesehenes mit sich bringt – ziemlich genau so, wie wir uns eben meistens fühlen.

Das liegt daran, dass unser Gehirn zur Produktion von Gedanken, Gefühlen und Handlungen auf unser neuronales Netzwerk zurückgreift. Wenn unser Alltag also relativ beständig ist und wir uns nicht selbst aktiv mit neuen Informationen füttern, bleibt in unserem Kopf alles beim Alten – im Guten wie im Schlechten. Mir ist in letzter Zeit immer wieder bewusst geworden, welch große Rolle diese Beständigkeit auch bei unseren Emotionen spielt. Bestimmt kennst du auch so Themen, die bei dir immer wieder die gleichen unangenehmen Gefühle auslösen: Die Scheidung deiner Eltern? Dein/e Ex-Freund*in? Die Aufnahmeprüfung, die du nicht geschafft hast? Ein fieser Kommentar, den du nicht vergessen kannst?

Lange Zeit habe ich geglaubt, dass wir unseren Gefühlen, die mit solchen Erfahrungen verbunden sind, nur oft genug Ausdruck verleihen müssen, damit diese sich irgendwann auflösen und wir „die Sache verarbeitet haben“. In letzter Zeit gelange ich jedoch mehr und mehr zu der Perspektive, dass es zwar wichtig ist, unseren Gefühlen Ausdruck verleihen zu dürfen, dass jedoch durch ein geduldiges Wiederkäuen von Trauer, Angst und Wut letztendlich nur wenig verdaut wird. Denn: Veränderung oder Heilung finden meiner Erfahrung nach vor allem dann statt, wenn wir neue Sichtweisen auf alte Situation entwickeln und versöhnlicher oder mitfühlender auf andere oder zumindest auf uns selbst blicken können.

Manchmal finden wir zu einer solchen neuen Perspektive, wenn wir nach dem erneuten Durchleben unserer Emotionen erschöpft, gesättigt und deshalb auch ruhig sind. Oft führt ein regelmäßiges Wiedererleben alter Gefühle jedoch eher zur Verfestigung jener Perspektiven, die uns so viel Schmerz bereiten. Denn genau das ist es, was so weh tut: Nichts anderes als eine ganz bestimmte Sicht auf die Dinge.

Manche Dinge schmerzen, aber ganz ehrlich – meine persönliche und professionelle Erfahrung ist: Jede*r, der dir je wehgetan hat, war sich zu diesem Zeitpunkt entweder der Wirkungen seiner Handlungen nicht bewusst oder handelte selbst aus Angst, Wut oder dem Gefühl von Bedürftigkeit heraus (also aus allem anderen als einer souveränen Position). Viele Dinge, die wir glauben und die uns wehtun, sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Zum Beispiel: Die meisten Eltern lieben ihre Kinder (und kriegen manches einfach nicht besser hin). Vermutlich hat auch dein/e Ex-Freund*in dich geliebt (und vermutlich habt ihr beide euer Bestes gegeben). Nur weil du eine Prüfung nicht schaffst, heißt das nicht, dass du kein Talent hast. Und wenn jemand im Streit fiese Dinge zu dir sagt, muss das nicht mal heißen, dass er oder sie dich verletzen möchte, sondern wahrscheinlich vor allem, dass er oder sie sich selbst verletzt fühlt. Und das wichtigste: Selbst wenn jemand nicht in der Lage ist, dich zu lieben oder dich respektvoll zu behandeln – nichts davon sagt irgendetwas über deinen Wert aus.

Wenn du also das nächste Mal altbekannte, schmerzhafte Gefühle in Dir wahrnimmst, dann möchte ich dich dazu ermutigen, diese Gefühle dieses Mal einfach erstmal wahrzunehmen. Und zwar als das, was sie sind: Eine konditionierte emotionale Reaktion auf bestimmte Gedanken. Versuche, dich dieses Mal nicht so schnell in alte Geschichten, die du dir selbst erzählst, verstricken zu lassen. Und wenn du magst: Versuche einmal eine Sichtweise auszuprobieren, mit der Du Dich ruhiger, friedlicher und wärmer fühlst. Meiner Erfahrung nach, sind das die Perspektiven, die Heilung bringen – und die oft deutlich näher an der Wahrheit dran sind als alles andere. 

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