Warum die Liebe bleiben darf, auch wenn die Beziehung endet

Kleine Anmerkung: Weil ich in meinen Blogposts zu einem ehrlichen und persönlichen Nachdenken einladen möchte, verwende ich ein freundlich und respektvoll gemeintes „Du“.

Manchmal, wenn ich mit Klient*innen arbeite, die noch an einer kürzer (oder länger) zurückliegenden Trennung knabbern, höre ich folgenden Satz: „Ich glaube, ich höre nie auf, ihn / sie zu lieben.“ – geäußert mit einem tiefen Seufzen und ganz klar als ultimative Problemdiagnose gemeint. Wenn ich dann Frage: „Ist das ein Problem?“ ernte ich meist verwirrte Blicke. Nur um das klarzustellen: Ich verstehe sehr wohl, dass es problematisch ist, wenn wir dauerhaft darunter leiden, dass jemand nicht da ist, immer traurig sind, unsere Gedanken permanent von der anderen Person okkupiert sind – wenn unser Leben also nicht weitergeht. Aber: Ich glaube, dass es einen klaren Unterschied gibt zwischen diesem „nicht drüber wegkommen“ und der Liebe, die wir für jemanden empfinden, auch wenn die Beziehung vorbei ist. Und: Dass es nicht etwa komisch, sondern im Gegenteil, sogar ganz normal ist und zur Liebe dazugehört, dass sie auch dann bleiben kann, wenn jemand geht.

Das hat natürlich viel damit zu tun, wie wir Liebe begreifen: Setzen wir Liebe gleich mit dieser überschäumenden Begeisterung, mit der ständigen gedanklichen Beschäftigung mit dem oder der anderen, mit dem starken Verlangen, von der anderen Person genauso toll gefunden zu werden – klar, dann gilt: In den seltensten Fällen währen diese Gefühle ewig (und für unser Wohlergehen ist das vermutlich auch ganz gut so). Wir können Liebe aber auch anders begreifen: Als das wirkliche Erkennen der anderen Person. Als das Sehen und Begreifen all dessen, was den Anderen liebenswert macht – all dieser großen und kleinen, ganz individuellen wunderbaren Eigenschaften. Es ist ein Geschenk, wenn wir in der Lage sind, einen anderen Menschen auf diese Weise wahrzunehmen. Und es wäre fast zynisch, zu erwarten, ein Schleier lege sich über das Wahrgenommene, bloß, weil sich unsere Beziehung zur anderen Person verändert.

Natürlich gibt es Fälle, in denen zwischen uns und dem / der anderen so viel passiert ist, dass es uns nur schwerlich gelingt, unseren liebevollen Blick zu bewahren Aber: Wenn es andersherum läuft, dann sollten wir uns dafür nicht schämen und uns deshalb auch nicht sorgen. Im Gegenteil: Unsere Gefühle zeigen uns, dass wir in der Lage sind, zu lieben. Und das ist gut! Denn es bedeutet (vermutlich), dass wir auch in der Zukunft fähig sein werden, einen anderen Menschen zu lieben. Wir sind liebesfähig – und das ist meiner Erfahrung nach der deutlich größere „Erfolgsfaktor“, wenn es um Beziehungen geht. Es kommt nicht auf das eine, so besondere, zauberhafte, vermeintlich perfekte Wesen an, das unsere Fähigkeit zu lieben wachküsst. Es kommt auf unser Vermögen an, das Besondere, Liebenswerte, auch im Alltäglichen, vermeintlich Unvollkommenen zu entdecken.

Wenn wir also auch nach einer Trennung Liebe für jemanden empfinden, dann würde ich dazu raten, diese Liebe nicht wegzusperren, sondern in Ehren zu halten und ihr den Platz einzuräumen, der ihr angemessen ist. Das wird vermutlich irgendwann nicht mehr der zentrale Punkt sein, um den unser Fühlen und Denken kreist. Aber ich halte es für vollkommen angemessen und gesund, wenn wir uns die liebevolle Erinnerung an jemanden bewahren, mit allen Gefühlen, die dazugehören. Und keine Sorge – so ein Herz kennt keine maximale Ausdehnungsgrenze. Wir müssen niemanden daraus verbannen, auch dann nicht, wenn wir eine neue Liebe finden wollen – wir sortieren nur die Plätze neu.

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