Beziehungen und die liebevolle Perspektive

Kleine Anmerkung: Weil ich in meinen Blogposts zu einem ehrlichen und persönlichen Nachdenken einladen möchte, verwende ich ein freundlich und respektvoll gemeintes „Du“.

Wenn ich gefragt werde, worüber ich eigentlich so schreibe, fällt mir im ersten Moment meist keine wirklich befriedigende Antwort ein. Mit etwas Nachdenken wird mir jedoch klar, dass für mich DAS zentrale Thema die Macht der Perspektive ist (Sollte ich jemals einen amerikanischen Selbsthilferatgeber schreiben – The Power of Perspective klingt schön kitschig, oder? ????). Dabei fällt mir immer wieder auf, dass es nicht nur einen riesengroßen Unterschied macht, aus welchem Blickwinkel wir eigene Themen betrachten, sondern auch, mit welcher Perspektive wir anderen begegnen. 

Kennst du auch solche Situationen, in denen du absolut spürst, dass dein Gegenüber dich bereits in eine Schublade gesteckt hat? Auf dieser Schublade steht vielleicht „die Zicke“, „der Oberflächliche“, „die Merkwürdige“ oder „der Nicht-so-helle“. Wenn wir spüren, dass jemand anderes sich bereits ein ganz bestimmtes Bild von uns gemacht hat, wird es meiner Erfahrung nach ziemlich schwer, sich einfach ganz normal und „so, wie wir eben sind“ zu verhalten. Oft versuchen wir dann nämlich, zu konterkarieren und uns von unserer ganz besonders freundlichen, normalen, cleveren oder tiefgründigen Seite zu zeigen. Das ist aber gar nicht so leicht, wenn jemand anderes bereits eine feste Meinung von uns hat, und dementsprechend verkrampft und anstrengend wird deshalb meist auch unsere Performance. Auf lange Sicht führen solche Begegnungen meistens entweder dazu, dass wir uns in diesem ungesunden Tanz um Anerkennung einrichten und damit Stück für Stück unser eigenes Selbstwertgefühl untergraben – oder dass wir uns sehr schnell aus solchen Kontakten entziehen und den anderen ebenfalls doof finden, weil wir spüren, dass wir nicht geschätzt werden.

Nun ist es relativ einfach, zu erkennen, dass es für uns selbst nicht schön (und oft auch nicht fair) ist, wenn wir von anderen Menschen so schnell einen bestimmten Stempel verpasst bekommen. Etwas mehr Mut hingegen erfordert es, uns darüber klar zu werden, wo wir selbst anderen Unrecht tun und es uns zu leicht machen, indem wir eine Perspektive auf sie wählen, der es an Freundlichkeit, Mitgefühl und Verständnis mangelt. Es ist einfach, Menschen, über die wir uns ärgern oder die uns kränken, einfach ein bestimmtes Etikett zu verpassen (und ich will hier gar nicht so klingen, als würde mir das nie passieren – natürlich kenne ich das auch!). Wir grenzen uns darüber ab und stabilisieren auf den ersten Blick auch unser Selbstwertgefühl. Allerdings bringen wir dadurch auch andere Menschen in die gleiche Situation, die sich für uns selbst so unangenehm und beschämend anfühlt. Das ist an sich bereits irgendwie nicht so cool.

Darüber hinaus kann unser Verhalten, mit dem wir uns unbewusst abgrenzen möchten, jedoch auch dazu beitragen, dass wir nicht nur Grenzen um uns herum ziehen, sondern uns regelrecht einmauern – weil es sich für andere auf Dauer nicht gut anfühlt, in unserer Nähe zu sein. Vielleicht denken wir, dass uns das egal sein kann, wenn wir uns unseren Stempel für Vermieter, Chefinnen, Nachbarn oder blöde Autofahrerinnen auf der anderen Spur aufsparen. Wie viele von uns haben jedoch ein ganzes Arsenal an Stempeln für genau die Menschen, die wir eigentlich am allermeisten lieben und bei denen wir sehr traurig wären, wenn sie irgendwann das Weite suchen würden: Für unsere Partner*innen und unsere Familie?

Das sind die Menschen, bei denen wir uns am sichersten fühlen und das ist natürlich sehr schön. Dennoch sollten wir uns nicht dazu verleiten lassen, anzunehmen, diese Sicherheit ertrage alles. Wenn wir Menschen das Gefühl geben, dass wir auf gewisse Weise auf sie herabsehen (beispielsweise, indem wir an „Enttäuschungen“ festhalten und ihnen diese immer wieder unter die Nase reiben) werden selbst die Menschen mit dem längsten Atem irgendwann das Weite suchen.

Viele von uns haben das schon einmal schmerzlich erfahren, wenn eine Beziehung zu Ende gegangen ist – und wir uns eingestehen mussten, dass wir es uns zu einfach gemacht und den bzw. die Andere*n nicht so geschätzt haben, wie es eigentlich angemessen gewesen wäre. Deshalb möchte ich heute dafür plädieren, dass wir es uns nicht zu leicht machen in all unseren Beziehungen und dadurch gleichzeitig doch viel einfacher für uns alle. Denn wenn wir uns immer wieder die Mühe machen, unser Herz offenzuhalten und eine verständnisvolle und mitfühlende Perspektive auf unser Gegenüber wählen – erst dann geben wir uns selbst und allen anderen die Chance, die einzigartigen, unvollkommenen und deshalb nicht weniger wunderbaren Menschen zu sein, die wir sind.

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