Auf Augenhöhe mit den eigenen Eltern

Kleine Anmerkung: Weil ich in meinen Blogposts zu einem ehrlichen und persönlichen Nachdenken einladen möchte, verwende ich ein freundlich und respektvoll gemeintes „Du“.

Wie ist dein Verhältnis zu deinen Eltern so? Wenn ich mich so umhöre – egal ob bei meinen Klient*innen oder in meinem Freundeskreis – dann klingt die Antwort oft in etwa so: „Wir kommen schon besser klar als früher, aber manchmal habe ich das Gefühl, meine Eltern denken, ich wäre immer noch 16.“ Oft geht uns das vor allem dann so, wenn wir für einen Besuch nach Hause fahren (Erinnert sich noch jemand ans letzte Wochenende?).

Solange wir eine gewisse Distanz haben oder von unserer Familie in unserer eigenen Lebenswelt besucht werden, läuft oft alles mehr oder weniger prima. Begegnen wir unseren Eltern aber für längere Zeit (und verbringen wir einen Teil dieser Zeit auch noch damit, im „Kinderzimmer“ zu nächtigen), stecken wir oft ziemlich schnell wieder in einer Rolle, in der wir uns eigentlich überhaupt nicht mehr wohlfühlen. Und obwohl uns das oft schon beim ersten Abendessen klar wird, bei dem uns wohlmeinend penetrant Leberwurstbrot angeboten wird, obwohl wir seit 5 Jahren Vegetarier*in sind, gelingt es uns oft kaum, aus der alten Rolle auszusteigen und einfach nur wir selbst zu sein, so wie wir heute sind. Woran liegt das?

Als Systemische Beraterin muss ich natürlich sofort darauf hinweisen, dass wir fast nie „einfach wir selbst“ sind. 🙂 Wie wir uns verhalten hat super viel damit zu tun, mit wem wir gerade zusammen sind. Wir zeigen bei unterschiedlichen Freund*innen unterschiedliche Seiten von uns, sind wieder anders, wenn wir mit unsere*r Partner*in zusammen sind – oder eben mit unserer Familie. Das hat viel damit zu tun, auf welche Muster, kleinen Rituale und Rollen wir uns in der Vergangenheit so eingespielt haben – und das kann ja auch durchaus schön sein! Dass Sand im Getriebe ist, merken wir allerdings dann, wenn unsere Erwartungen an eine Beziehung nicht mehr hundertprozentig zu den Erwartungen unseres Gegenübers passen und es irgendwie „ruckelt“. Wir erwarten z.B, unseren Eltern mittlerweile auf Augenhöhe begegnen zu können, während diese vielleicht nach wie vor die Vorstellung hegen, dass sie insgeheim am besten wissen, was gut für uns ist (und uns ihre Liebe zeigen wollen, indem sie diese Weisheiten mit uns teilen). Was kann da helfen?

Die gute Nachricht lautet: „It takes two to Tango.“ Der alte Tanz kann also langfristig nur dann weitergehen, wenn beide Tanzpartner bei der eingeübten Schrittfolge bleiben. In jedem Kontakt haben wir jedoch immer auch die Möglichkeit, nicht mehr mitzutanzen. Das kann natürlich erstmal für viel Konfusion und Auf-die-Zehen-Getrampel führen. Möglicherweise versucht unser Tanzpartner auch, uns durch eine besonders dominante Führung wieder „auf Kurs“ zu bringen. Wenn wir dem entgehen wollen, brauchen wir vor allem Klarheit über unsere eigene neue Rolle im gemeinsamen Tanz, die Fähigkeit zu agieren statt zu reagieren und eine klare Kommunikation. Konkret bedeutet das, sich mit diesen drei Fragen zu befassen:

1.) „Wer bin ich heute und wie möchte ich wahrgenommen werden?“ Wofür stehst du? Was sind deine Werte? Wie sehr bist du selbst im reinen mit der Person die du heute bist? Je klarer du dir selbst darüber bist, wer du sein möchtest (und wer nicht!), desto leichter fällt es dir mit der Zeit, diese Klarheit auch nach außen zu tragen.

2.) „Wie möchte ich mich dementsprechend verhalten?“ Oft geraten wir im Kontakt mit unseren Eltern ins Straucheln, weil wir auf ihr Verhalten reagieren, anstatt zu agieren. Das heißt, wir rechtfertigen uns, werden zickig oder schmollen… Und schwupps, sind wir schon wieder mittendrin im Tangotanzen! Es kann deshalb sehr lohnenswert sein, uns einmal genauer anzuschauen, wie wir normalerweise so auf die großen und kleine Fallstricke der Eltern-Kind-Beziehung reagieren und dann noch einmal bewusst zu überprüfen, ob dieses Verhalten uns wirklich am besten entspricht. In der Zukunft geht es dann darum, selbst ganz bewusst andere Tanzschritte zu machen. Das erfordert oft Mut, Ausdauer und eine ordentliche Portion Geduld, bringt uns aber auf lange Sicht auf einen eigenverantwortlicheren Kurs.

3.) „Wie kann ich meinen eigenen Schrittwechsel bestmöglich kommunizieren?“ Manche Tanzpartner sind sehr feinfühlig und spüren einen Rhythmuswechsel von ganz allein. Andere bleiben hartnäckig beim Tango, auch wenn eigentlich alle Zeichen auf Cha-Cha stehen. Was hilft da? Kommunikation. Und zwar solche, die beim Gegenüber auch ankommt. Es kann sehr hilfreich sein, deine Eltern über deinen neuen Tanzstil in Kenntnis zu setzen. Das klappt oft am leichtesten, wenn du einfach erklärst, wie du dich in Zukunft zu verhalten gedenkst und dieses Verhalten dann auch demonstriert. Dabei ist es wichtig, dass du kohärent bleibst und nicht willkürlich zwischen Cha-Cha und Tango hin- und herwechselst. Das stiftet nämlich Verwirrung auf beiden Seiten. Wenn du deine Eltern also z.B. freundlich informierst: „Ich werde zukünftig nicht mehr auf Diskussionen über Leberwurst einsteigen und bitte euch, das zu akzeptieren.“, dann bleibe auch dabei. Kein Streit, kein Rechtfertigen, einfach der schlichte Verweis: „Wie ich das letzte Mal bereits gesagt habe, werde ich darüber nicht mehr diskutieren.“, ein freundliches Lächeln und ein beherzter Biss ins Avocado-Toast. 🙂 Je klarer du in Hinblick auf dein eigenes Verhalten bist, desto leichter kann es auch deinen Eltern gelingen, ihre eigenen Schritte anzupassen.

Als letzten kleinen Disclaimer muss ich noch hinzufügen: Wenn sie das möchten. Genauso wenig, wie du dich den Erwartungen deine Eltern anpassen musst, sind sie natürlich auch gezwungen, ihr eigenes Verhalten zu ändern und manchmal kann es sein, dass deine Eltern deine Einladung zu einem neuen Tanz einfach nicht annehmen möchten. Dennoch: Ich wünsche dir alles Gute für einen langsamen, aber stetigen Wandel hin zu einem Verhältnis, dass dir UND deinen Eltern entspricht.

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