Wie unsere inneren Anteile uns prägen

Kleine Anmerkung: Weil ich in meinen Blogposts zu einem ehrlichen und persönlichen Nachdenken einladen möchte, verwende ich ein freundlich und respektvoll gemeintes „Du“.

Diese Woche ist mir in verschiedenen Beratungen mal wieder bewusst geworden, wie hilfreich sein kann, wenn wir das Konzept der „inneren Anteile“ kennen. In der systemischen Beratung gehen wir davon aus, dass jeder Mensch unheimlich vielseitig ist. Wir alle haben verschiedene Seiten an uns: Manchmal sind wir selbstbewusst, manchmal sehr zurückhaltend. Manchmal sind wir total geduldig, in anderen Momenten störrisch oder schnell genervt. Wir können in bestimmten Situationen kühl sein und in anderen sehr liebevoll. Kurz: Wir sind ein Mysterium auf zwei Beinen – manchmal zur Freude, manchmal aber auch zum Leid unserer selbst und unserer Mitmenschen.

Vielleicht kennst du das ja auch: Eigentlich hältst du dich für ziemlich friedfertig und verständnisvoll, aber bei bestimmten Themen giftest du deine*n Partner*in wider bessere Vorsätze dann trotzdem von der Seite an. Oder du hast eigentlich den Wunsch (und  erkennst auch den Sinn darin) konstruktive Kritik annehmen zu können. Beim nächsten Mal, wenn dein*e Chef*in dich in einer Sache kritisiert, würdest du dich trotzdem am liebsten zum Heulen aufs Klo verkrümeln.

Wenn du eine solche Situation erlebst, in der du besonders emotional reagierst, auch wenn dein Verstand vielleicht gar nicht so richtig kapiert warum, kann es sein, dass ein bestimmter innerer Anteil auf den Plan tritt, der die Angelegenheit ganz anders sieht – und vor allem empfindet – als dein erwachsener Kopf. In der systemischen Beratung nehmen wir an, dass wir aufgrund der Erfahrungen, die wir in unserem Leben machen, unterschiedliche Anteile entwickeln, die diese Erfahrung (vor allem dann, wenn sie in der Vergangenheit nicht wirklich aufgelöst werden konnte) noch lange innerlich abspeichert. Begegnen wir dann in der Gegenwart einer Situation, die uns an das damalige Erleben erinnert, werden Anteile aktiviert, die oft deutlich jünger sind, als unser erwachsenes Ich, mit dem wir uns bewusst identifizieren. Da kann es sein, dass wir auf die Pläne unseres Partners, ein paar Monate ins Ausland reisen zu wollen, nicht wie dreißigjähriger Erwachsener sondern eher wie ein dreijähriges Kleinkind reagieren, das sich von Mama oder Papa im Stich gelassen fühlt. Oft entsprechen dann nicht nur unsere emotionalen Reaktionen, sondern auch unsere Lösungsversuche dem Alter dieses kindlichen Anteils. Wir quengeln und jammern, flehen oder erpressen anstatt nach einer guten, konstruktiven Lösung zu suchen.

Wenn du magst, kannst du einmal innehalten und überlegen – kennst auch du solche Situationen, in denen du sehr emotional oder (für dich und andere) unerwartet reagierst? Wenn du die Situation dann einmal genau betrachtest – erinnert dich etwas daran an deine Kindheit oder Jugend? Und das Gefühl, das dann in dir aufsteigt – kennst du das bereits aus deiner Vergangenheit?

Es kann in solchen Situationen sehr hilfreich sein, überhaupt es einmal zu erkennen: Aha, da wurde ein bestimmter Anteil in mir aktiviert. (Das gilt übrigens auch für Situationen, in denen wir über das Verhalten unserer Mitmenschen  verzweifeln könnten.) Wir dürfen diese Gefühle, die dann in uns wach werden, erst einmal einfach akzeptieren und da sein lassen. Vielleicht wird uns über das Spüren mit der Zeit bewusst, welches Bedürfnis eigentlich hinter unseren Gefühlen steckt. Dann können wir uns fragen: Was braucht dieser Teil von mir gerade? Wie kann ich, als der erwachsene Mensch, der ich heute bin, für diesen Anteil Sorge tragen? Nicht vergessen: Als die Menschen, die wir heute sind, verfügen wir über ein unglaubliches Wissen und so viele Kompetenzen, die wir Kinder noch nicht haben konnten. Und: Wir dürfen uns erlauben, diese Kompetenzen auch für unser eigenes Wohlergehen zu nutzen und unsere Mitmenschen aus einer allzu großen Verantwortung für unser Wohlergehen zu erlösen.

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