Nur wer „Nein“ sagen kann, kann auch ehrlich „Ja“ sagen

Kleine Anmerkung: Weil ich in meinen Blogposts zu einem ehrlichen und persönlichen Nachdenken einladen möchte, verwende ich ein freundlich und respektvoll gemeintes „Du“.

Freiheit ist eines unserer Grundbedürfnisse – paradoxerweise ebenso wie Sicherheit. Fühlen wir uns nicht in gewisser Weise sicher geborgen, können wir Freiheit nicht genießen, weil sie sich zu bedrohlich anfühlt. Sind wir hingegen zu stark in Verpflichtungen eingebunden, mit denen wir uns nicht wirklich identifizieren, fehlt uns die Luft zum Atmen (und für Kreativität und Freude). Freiheit ist für jeden von uns ein Thema, mit dem es sich früher oder später auseinanderzusetzen gilt, weil sie jeden von uns betrifft. Deshalb: Was bedeutet Freiheit für dich? Wann fühlst du dich frei und wann nicht? Wie viel Freiheit brauchst du, damit du dich bestmöglich entfalten kannst? Und was bedeutet Freiheit für dich in verschiedenen Lebensbereichen?

Im Kontakt mit meinen Klient*innen wird mir immer wieder bewusst, dass Freiheit von jedem von uns ganz unterschiedlich gehandhabt wird. Vermutlich kennt jeder von uns jemanden, der (oder die) sich auf keinen Lebensentwurf so richtig festlegen mag und Wohnorte, Berufe, manchmal auch Beziehungen vergleichsweise schnell wechselt. Das meine ich übrigens ganz wertfrei: Für manche ist diese Lebensweise eine wunderbare Möglichkeit, die Fülle des Lebens auszukosten und nicht jeder offensichtliche Freiheitsfan ist ein „lonesome cowboy“ (oder cowgirl). Für mich als Beraterin wird es vor allem dann interessant, wenn Menschen ein ambivalentes Verhältnis zum Thema Freiheit pflegen. Da gibt es diejenigen, die nach äußeren Maßstäben ein glückliches Leben in geregelten Bahnen führen, innerlich aber den Befreiungsschlag ersehnen. Oder die, die sich eigentlich nach mehr Nähe oder Beständigkeit sehnen, allerdings befürchten, dass jede Art von Bindung ihrer Autonomie ein jähes Ende bereiten würde. Meiner Erfahrung nach sind die äußeren Maßstäbe unseres Lebens für unser Freiheitsgefühl letztendlich oft zweitrangig. Viel zentraler ist, wie viel Autonomie wir uns selbst zugestehen – und das hat ganz viel damit zu tun, was wir diesbezüglich in unserer Herkunftsfamilie gelernt haben. „Ja“ sagen und uns frei fühlen können wir – egal ob im Job oder in Beziehungen – eigentlich nur dann, wenn wir gelernt haben, das es auch okay ist, „Nein“ zu sagen.

Wir können uns in einem Job erst dann wohl fühlen, wenn wir innerlich davon überzeugt sind, dass es unser gutes Recht ist, auch wieder zu kündigen, falls wir uns dort nicht wohl oder schlecht behandelt fühlen. Wir können uns auf eine Beziehung nur dann ganz einlassen, wenn wir wissen, dass wir dort unseren eigenen Kopf behalten dürfen und nicht zum „Wir“ verschmelzen müssen: Dass wir andere Bedürfnisse haben dürfen als unser*e Partner*in, dass wir Raum für uns selbst beanspruchen dürfen, und ja, auch dass wir uns trennen dürfen, wenn wir in einer Beziehung langfristig nicht glücklich sind. Viele derjenigen, die heute am Thema Freiheit knabbern, sind nicht etwa unfähig, Verantwortung zu übernehmen, sondern haben genau das in ihrer Kindheit nicht lernen dürfen: Dass es ihr Recht ist, zu widersprechen. Berührung abzulehnen. Wütend zu sein. Eigene Bedürfnisse auch mal lautstark zu äußern. Dass es nicht ihr Job ist, Mama oder Papa glücklich zu machen, sondern dass diese das ganz gut alleine hinbekommen. Dass sie nicht mehr Verantwortung tragen müssen, als es für ein Kind oder einen Jugendlichen angemessen wäre. Dass Liebe immer nur aus freien Stücken, als Geschenk gegeben und nicht eingefordert werden kann. Das Gute ist: Uns innerlich befreien, das können wir auch heute noch. Und dieser Befreiungsprozess braucht oft weniger die große dramatische Geste als viele kleine, mutige Schritte im Alltag. Jedes kleine „Nein“ , „Das ist mir zu viel“, „Das möchte ich nicht so, sondern anders“, aber auch jedes „Ja“ , „Ich versuche es“ , „Ich lasse mich ein“ – die können uns schlotternde Knie bereiten und uns viel Mut und Ausdauer abverlangen. Am Ende steht aber die Erfahrung: Ich bin erwachsen, und ich darf das! Und damit die Erkenntnis: Erst wenn ich mich innerlich frei fühle, dann bin ich frei, mein Leben auch äußerlich so zu gestalten, dass es wirklich mir entspricht.