Trauer, Liebe und Erinnerung im Advent

Die Weihnachtszeit und der Advent sind für viele von uns eine Zeit, die mit lieb gewordenen Traditionen und Erinnerungen verknüpft ist. Das kann wunderschön sein – und bittersüß, wenn heute vieles so anders ist, als es einmal war. Diejenigen, deren Familie sich heute nicht mehr so versammeln kann, wie es früher möglich war, werden das Gefühl vielleicht kennen: Etwas fehlt. Oder präziser: Jemand fehlt. Und wir, wir geraten ins Schlittern, wenn es darum geht, i r g e n d einen Umgang damit zu finden.

Trauer ist ein Thema, mit dem ich mich über die Jahre immer wieder und im letzten Jahr noch einmal ganz besonders beschäftigt habe: Ganz persönlich, weil mein Vater vor mittlerweile (unfassbar lang klingenden!) 17 Jahren gestorben ist und mich diese Begleiterin mit dem langen Atem immer wieder einholt. Und natürlich auch, weil Trauer mir in der Arbeit mit meinen Klient*innen immer wieder begegnet: Trauer ist eine Erfahrung, die uns alle betrifft. Sie ist ein Teil des Lebens. Und gleichzeitig ein Thema, mit dem sich unsere Gesellschaft so, so schwer tut. So sehr, dass wir uns heillos überfordert fühlen können angesichts der Wucht, mit der Trauer durch unser Leben wirbelt und nichts unberührt lässt, nichts an seinem angestammten Platz zurücklässt. So sehr, dass wir vielleicht glauben, mit uns sei etwas verkehrt, wenn es uns nicht gelingen mag, die Trauer nach einer „angemessenen Zeit“ wieder vor die Tür zu setzen.

Ich erlebe immer wieder, wie wir deshalb versuchen, Trauer auszuschließen, einzumauern – und uns dadurch manchmal etwas erleichterter fühlen. Oft spüren wir aber trotzdem (oder gerade deshalb) weiterhin: Etwas fehlt. Und diese Lücke lässt sich durch nichts so richtig schließen. Eigentlich ist das kein Wunder, denn: Jemand ist nicht mehr da. Und unsere Trauer will nichts anderes als diesen jemand.

Von all den Gedanken, Erfahrungen, Konzepten und Büchern zum Thema Trauer, mit denen ich mich über die Jahre auseinander gesetzt habe (und das waren so einige), hat mich eigentlich nur ein Gedanke so wirklich überzeugt (und mir vor allem auch tatsächlich geholfen): Die Erkenntnis, dass Trauer Liebe ist. Liebe, die ihren Weg zum geliebten Menschen sucht – und sich manchmal schwer damit tut, ihn zu finden. Diese Liebe wird nicht verschwinden, wenn wir versuchen, sie „loszulassen“ – auch dann nicht, wenn wir uns auf den Kopf stellen. Wenn wir geliebt haben und vermissen, dann ist Trauer einfach Teil des Deals. Sie wird uns nie mehr ganz verlassen. Aber: Wir können ihre Gestalt wandeln – immer dann, wenn es uns gelingt, unsere Liebe tatsächlich zu leben.

Für mich geht es in der Trauerarbeit deshalb weniger um die Frage danach, wie wir lernen können loszulassen, und mehr um die Frage danach, wie wir unserer Liebe einen anderen, neuen Ausdruck geben können. Denn nicht nur unsere Trauer, sondern vor allem auch unsere Liebe und unsere Verbundenheit zum geliebten Menschen dürfen uns unser Leben lang begleiten. Derjenige, den wir auch heute noch lieben, darf weiterhin Teil unseres Lebens sein. Und wir, wir dürfen dieser Liebe ganz bewusst Raum geben.

Was hat das alles nun mit Weihnachten zu tun? Für mich bedeutet das, dass wir diese Zeit, die uns vielleicht auch traurig macht, ganz bewusst dazu nutzen dürfen, uns mit dem Geliebten zu verbinden (das gilt übrigens nicht nur dann, wenn wir einen Verstorbenen, sondern vielleicht auch eine früher einmal vereinte Familie oder unsere Heimat vermissen!). Wir können Traditionen ganz bewusst am Leben erhalten und weitergeben. Wir dürfen denen, die uns heute nahe stehen, von denen erzählen, die wir geliebt haben und weiterhin lieben. Wir dürfen diese Zeit dazu nutzen, um in einen inneren Dialog mit den Menschen zu gehen, mit denen wir verbunden bleiben möchten – liebevoll oder kritisch. Wir dürfen dem geliebten Menschen und unserer Verbundenheit so viel Raum geben, wie es sich für uns stimmig anfühlt.

Für mich bedeutet das ganz konkret: Ein Bild von mir und meinem Vater hat seinen eigenen Platz in der Wohnung – und seine eigene Kerze! Ich schaue mir alte Fotos und Videos an. Ich gucke Filme, höre Musik, die ich mit meinem Vater und meiner Kindheit verbinde. Ich erzähle von ihm – und freue mich, wenn er so auch in der Erinnerung der Menschen, die ihn gar nicht kannten und die heute meine Familie sind, lebendig bleiben darf.

Jede*n, den diese Zeit nicht nur festlich, sondern manchmal auch traurig stimmt, kann ich also nur ermutigen: Lass deine Trauer nicht vor der Tür stehen – sie wird nämlich beharrlich weiter anklopfen. Wenn du dich traust, sie einzulassen, wirst du schnell merken: Sie ist kein zurückhaltender Gast. Im Gegenteil! Aber: In ihren Koffern trägt sie so viel Liebe, dass sie endlich wieder Leben ins Haus bringt. Sie macht unsere Erinnerung, vor allem aber uns selbst, wieder ganz und gar lebendig.

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